Von Matthias Matussek
Der Preis, das erfahren wir aus dem Wörterbuch des genialen Sprachforschers und Sprachgroßmeisters Jacob Grimm, ist entlehnt aus dem altfranzösischen Pris, verwandt mit englisch Price, und geht einher mit „preisen“. Und das zielt, nach Grimm, durchaus auf den inneren Wert und Vorzug des Gepriesenen.
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Die Texte lagen in der Luft, sagte mir Udo Lindenberg auf die Frage, wieso deutsch, wieso damals, und überhaupt, das ist doch völlig ungewöhnlich gewesen in den frühen siebziger Jahren, als er dem Welt-Rockgeschäft die deutsche Sprache als respektablen Mitspieler zuführte.
Udo sagte, die Wörter lagen doch in der Luft, er mußte sie nur noch inhalieren, in den Kneipen, wo er mit seinem Hofstaat herumsaß, denn er war schon früh eine Art King auf der Reeperbahn, mit all den poetischen Nachtfiguren, dieser Prozession aus Gnomen und Riesen und übergewichtigen Feen, dieser ganze Udo Lindenberg Fellini-Kosmos.
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Über die Rentnerband bei Onkel Pö, über Paula aus St.Pauli, die sich immer auszieht, oder über den Jungen, der wehmütig der Cellospielerin hinterherfährt, oder den Ausreißer, der nach London will, aber vorher abgefangen wird, lauter Lebensversuche, Lebensmöglichkeiten, eine bunter und schmerzvoller und lustvoller als die andere, und Udo wäre nicht er selber, wenn er seinem ersten Hit „Hoch im Norden“ nicht einen Song hinterherschickt der „Tief im Süden“ heißt, denn die Verballhornungslust macht vor dem eigenen Werk längst nicht halt, da erst recht nicht.
Reden wir also über Texte, denn schließlich ist hier ein Sprachpreis zu überreichen. Es ist Preiselbeerenzeit, sagt Udo Lindenberg, nun wird die Ernte eingefahren, und heute gilt es die Mühen zu honorieren, die der Rockdichter aufopferungsvoll im Steinbruch der deutschen Sprache verrichtet hat. Über vier Jahrzehnte hinweg. Mit Spitzhacke und Gitarre. Aber öfter noch mit Dynamit. Geht schneller. (…)
Zunächst aber Jugend und Aufbruch. Wahrscheinlich ist Udo Lindenberg der beste deutsche Rockdichter der Pubertät, dieser melancholischen merkwürdigen Zwischenzeit, in der es immer aufs Ganze geht und Kummer so grenzenlos sein ist wie die Nordsee bei Nebel und das Glück, wenn es gelingt, den ganzen Himnmel aufreißt… so gut kann sich der Sänger Lindenberg in jugendliche Sehnsüchte einfühlen, daß man auch heute noch den Verdacht haben kann, er trägt sie immer noch in sich. Goethe sagte einst, schon hochbetagt, zu Eckermann, daß ein Dichter in einer ständigen Pubertät lebt, und in diesem Sinne ist Lindenberg lange pubertär.
Da ist der Song „Er wollte nach London“, der mit den Worten beginnt:
„Mit dreizehn ist er zum ersten Mal
Von zu Hause weggerannt“
Und dann geht es weiter
„Er rauchte viele Zigaretten
und dann wurd’ es wieder heller
und morgens um sieben hatten sie ihn
sein Alter war leider schneller“
Doch er gibt nicht auf, der Junge, und das mit den Zigaretten kannte ich auch, und jenen Moment an der Autobahn, wenn es heller wird, der Junge versucht es immer wieder mit den Ausbrüchen in diesem Song, mit 15 und mit 17, er schafft es nach Paris und nach London, immer auf der Suche, bis er eine einfache Weisheit entdeckt, und wir wissen, daß große Weisheit immer einfach ist:
„Vielleicht kommt es doch mehr auf einen selber an“.
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Womit wir der lyrischen Königsdisziplin wären, bei den Gesängen und Gedichten über die Liebe. Wie die meisten Rockstars und Troubadoure auf Tour weiß Udo, daß sich Dauerhaftigkeit verbietet, daß Liebe nur dann möglich ist, wenn sie sich nicht über ihre Endlichkeit hinwegtäuscht und womöglich einmündet in eine bürgerliche Beständigkeit.
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Und nun die Politik, ein ganz wichtiges weiteres Inspirations-Feld für unsere Sänger. Barrikaden, Kampflyrik, hochgerollte Flanellhemden, stolze Proletenbrust. Der sozial engagierte Dichter, der Mann mit dem Anliegen, der Agitator und Barikadenkämpfer für eine bessere Welt, der nicht die eigene Freiheit, sondern die Befreiung der Menschheit im Blick hat, diese ebenfalls traditionsreiche Sängerfigur betritt in den achtziger Jahren die Bühne, das heißt, er schlurft eher schräg von der Seite dahin, denn Udo Lindenberg steckt auch diese Kämpferfigur erst einmal in ein Kostüm, in einen Anzug, in ein anderes Klischee, nach Phil Marlowe aussieht, er arbeitet nun mal mit „ready mades“, um es in der Sprache der Popkultur auszudrücken.
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Doch bleiben wir beim Thema „Liebe“, also noch einmal vorwärts und zurück in die achtziger Jahre, die eine der schönsten Lindenberg-Balladen gesehen haben, und die handelt von Freundschaft und vom Trotz gegen die Welt und von der Liebe, und sie beschwört ganz große die Elemente, die Natur, die Himmelskräfte, um diese Liebe zu rahmen – und ihren tragischen Verlust
„Du und ich das war
einfach unschlagbar
ein Paar wie Blitz und Donner
und immer nur auf brennend heißer Spur“
Und dann der Refrain, der dieser Freundschaft über ihr Ende hinaus Dauer herbeizaubern möchte
„Hinterm Horizont geht’s weiter
ein neuer Tag
Hinterm Horizont immer weiter
Zusammen sind wir stark
das mit uns ging so tief rein
das kann nie zu Ende sein
denn zwei wie wir
die können sich nie verlier’n
Hinterm Horizont geht’s weiter“
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„Horizont“ ist gleichzeitig ein großes Liebesgedicht und ein großer Totengesang, denn es ist geschrieben zum Andenken an Gabi Blitz, Udo Lindenbergs langjährige Gefährtin, die an einer Überdosis starb.
In dieser Ballade, die so anstrengungslos und doch so konzentriert wirkt, kommt die Stärke des Slangpoeten Lindenberg zur Geltung. Er schafft es tatsächlich, mit umgangssprachlichen Schwingen eine ganze zerklüftetete Landschaft an Gefühlen und Beobachtungen zu durchstreifen, in einem wunderbaren leichten Vogelflug. Er hat dabei einen großen Vorgänger, nämlich Heinrich Heine, der liedhaft und umgangssprachlich und witzig und leidenschaftlich gegen den klassischen Marmor angedichtet hat, den das Weimarer Dioskurenpaar Goethe/Schiller in ehrfurchtgebietenden Brocken in der lyrischen Landschaft hinterlassen hatte.
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Das Geheimnnis dieser Texte, dieses Geasamtkunstwerks Udo Lindenberg ist wohl am besten zusammengefasst in dem Song „Mein Ding“.
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Und ich mach´ mein Ding
egal, was die ander´n sagen
Ich geh´ meinen Weg
ob grade, ob schräg
das ist egal
Ich mach´ mein Ding
egal, was die ander´n labern
Was die Schwachmaten einem so raten
das ist egal
Ich mach´ mein Ding
Udo, die deutsche Sprache ist genau darüber, daß Du dein Ding abgezogen hast, lockerer geworden, und sie hat mir anvertraut, vorhin, leise, daß es die Honoratioren und Schulmeister und Linienrichter des Dudens nicht hören konnten, ich soll dir sagen, sie dankt es Dir.
Herzlichen Glückwunsch zum „Jacob Grimm Preis Deutsche Sprache“, Du hast ihn Dir verdient !
Die ganze Laudatio finden Sie hier.
Danke für den Link zu Matthias Mattuseks Laudatio.
Hochverdienter Preis für uns Udo!
Im Video-Blog von MM gibts den hier: http://www.spiegel.de/video/video-1091594.html