Projektmanagerin Marion Hasselaar hat Stress. Die letzten Vorbereitung laufen. Morgen ist die langerwartetet offizielle Eröffnung von „Happy Watoto Home & Schools“ in Ngorika, Tansania. Das weitverzweigte Dorf liegt im Bezirk USA-River in der Region Arusha, ca. 30 Minuten weg von der Hauptstraße nach Moshi. Man erreicht es über eine holprige Stein- und Lehmpiste, am besten mit Jeeps. Jetzt in der Regenzeit haben wir Glück, dass es überwiegend trocken bleibt. Bei heftigen Güssen gibt es kaum eine Chance auf Weiterkommen. Viele Menschen stehen neugierig am Wegesrand und winken uns zu. Lachen, Daumen hoch – die meisten wissen, wo wir hin wollen. „Happy Watoto Home“ ist schnell zum Mittelpunkt der Region geworden.
Nach einer abwechslungsreichen Fahrt durch die ländliche Dorfgemeinschaft, stehen wir staunend auf dem 20.000 qm großen Gelände. An den Gebäuden werden die letzten Maler- und Reinigungsarbeiten vorgenommen. Helfer pflanzen Blumen, stutzen den Rasen, oder blasen Luftballons auf. Das Programm für den großen Tag wird immer wieder besprochen. Schon seit einigen Wochen läuft der Unterrichtsbetrieb, jetzt vor der offiziellen Eröffnung ist bei kaum einem der Verantwortlichen so etwas wie Nervosität zu spüren. Praktikantin Kim aus Holland zeigt uns die Schilder, die noch an den Häusern angebracht werden müssen. Jedes trägt den Namen von Spendern und Unterstützern des Projekts.
Auch Udo Lindenberg bekommt ein eigenes Haus, es liegt zentral im Wohnbereich der Kinder, ein großer Aufenthaltsraum, daran angrenzend links und rechts die Wohnbereiche von Mädchen und Jungs. Schuldirektor Walther de Nijs hat zwar kaum Zeit, zeigt uns aber dennoch die einzelnen Räume, nicht ohne Stolz.
Als die Udo Lindenberg Stiftung 2008 im Rahmen des Panikpreis beschloss, den Förderverein „Good Hope Centre e.V.“ zu unterstützen, konnte noch keiner ahnen, was aus dem einst kleinen Projekt mal werden sollte. In Westfalen hatten sich sechs Privatleute nach einer Urlaubsreise zusammengefunden, um eine Ausbildungs- und Wohnstätte für damals 30 Straßen- und Waisenkinder in Tansania zu unterstützen. Spenden, Eintrittsgelder vom großen Panikpreisfinale im Juli 2008 in Calw, sowie Zuwendungen von Privatleuten und Unternehmen, brachten rund € 40.000, die von der Udo Lindenberg Stiftung an „Good Hope“ weitergeleitet wurden. Gut investiertes Geld, denn inzwischen ist aus dem einst kleinen Projekt eine vorbildliche Einrichtung für das Engagement privater Vereine und Institutionen in ganz Afrika geworden.
Sechzig Waisen wohnen derzeit im „Happy Watoto Home“, einige kommen aus den Dörfern der Umgebung, insgesamt sind es 104 Kinder. Mittelpunkt ist die Schule, hier wird gelernt, gespielt und gemeinsam gegessen. In den Klassen sitzen zwischen 30 bis 35 Schüler und Schülerinnen pro Stufe. Fünf sind es bis jetzt, im kommenden Schuljahr wird es dann auch eine sechste geben. (…)
Platz ist bis zur siebten Klasse, noch stehen die beiden Räume leer. Hauptlehrer Edward Mwololo stellt uns seinen Schülern vor. „Good Morning, class one“, „Good Morning, teacher“, schallt es aus 30 Kehlen zurück. Nach einer kurzen Vorstellung erzählen wir, was wir in Deutschland so machen und wie schön wir „Happy Watoto Home“ finden. So geht das in allen Klassenstufen. Stolz zeigen uns die Schüler, was sie gerade lernen in Mathematik oder Englisch, Unterrichtssprache bis zur sechsten. Erst in der siebten wird – wie auch an staatlichen Schulen – Suaheli gesprochen.
Die Kleinen wirken motiviert, den Spaß am Lernen sieht man ihnen an. Unterricht ist von morgens um acht bis Nachmittags, unterbrochen von einer Mittagspause. Danach wird in Gruppen gelernt, gespielt, musiziert, oder Haus- und Gartenarbeit verrichtet. Darauf wird in „Happy Watoto Home & Schools“ viel Wert gelegt. „Wir wollen den Kindern alles mitgeben, was sie später für ein selbstbestimmtes Leben brauchen“, sagt Edward Mwololo. Nachhaltigkeit steht in allen Bereichen im Vordergrund, eine Philosophie, die die beiden Trägervereine „svvt – Vrienden van Tansania“ aus Holland und „Good Hope e.V.“ aus Halle/Westfalen vehement vertreten. Schüler- und Schülerinnen sollen langfristig gefördert werden, um später alle Chancen zu haben, etwas in ihrem Land zu erreichen. (…)
Wir fahren weiter, die holprige Schotterpiste zurück bis zur Hauptstraße. An ihr liegt in Richtung Moshi „Kikatiti“, ein moderner Kindergarten, der bereits seit 2002 Heimat für rund dreißig Waisen ist. Auch er wurde gegründet von „svvt – Vrienden van Tansania“. Im Hof steht ein großer, mächtiger Baum an dem ein Schild mit der Aufschrift „Idas Wish“ hängt. Die Frau von Stiftungsgründer Jan Willem ter Braak hatte was dagegen, als er beim Bau gefällt werden sollte. Heute ist er ein wunderbarer Schattenspender. Center-Managerin Nolarip Ngungat führt uns über das Gelände. Es besteht aus einem Haupthaus mit Schlaf- und Spielräumen, einem Kindergarten, sowie Küchenhaus und Verwaltung. Hinten schließt sich ein großer Garten an, in dem Mais und Bohnen gepflanzt werden, an dessen Ende ein Stall steht. Die hier noch Dienst tuenden Hühner sollen aber abgeschafft werden, weil sie mehr Arbeit machen als Eier legen, erklärt Nolarip, die gleichzeitig auch Lehrerin ist. (…)
Dabei haben es die kleinen Kerle nicht leicht. Die meisten von ihnen kommen aus schlechten Familienverhältnissen, haben keine Eltern mehr, nur noch Geschwister oder weit entfernte Verwandte. Missbrauch gehört in Tansania fast schon zum Alltag. Auch Krankheiten und Mangelernährung treten häufig auf. In Kikatiti finden diese Kinder eine neue Heimat. Wenn sie ins Schulalter kommen, werden sie von „Happy Watoto Home & School“ übernommen.
Beide Einrichtungen sind eng verbunden und gut organisiert. Drei Sozialarbeiterinnen beschäftigt das Projekt, Joyce Sagata ist die Erfahrenste. Finanziert von „svvt – Vrienden van Tansania“, suchen und finden sie Waisen- oder Straßenkinder in den umliegenden Dörfern. Manche werden auch aus Arusha oder Moshi gebracht. Unter ihnen sind viele HIV-infizierte Waisen, deren Großeltern sich nicht mehr um sie kümmern können. Wenn noch Eltern oder nähere Verwandtschaft da ist, so die Streetworker, bekommen Familien manchmal auch Unterstützung durch die Stiftung. Damit versuche man zunächst eine möglichst intakte Struktur zu erhalten, was nicht immer gelingt. Alle anderen werden in „Kikatiti“ und „Happy Watoto Home“ aufgefangen, betreut und ausgebildet. „Mitunter ist es traurig wenn wir sehen, wie viele Kinder wir aufnehmen könnten, die Kapazitäten aber beschränkt sind. Da muss ich oft ganz schön schlucken“, sagt Joyce Sagata. (…)
Schuldirektor Walther de Nijs kam vor 20 Jahren nach Tansania und lebt mit seinen sechs Adoptivkindern und seiner afrikanischen Frau in Ngorika. Er weiß am besten, welche Probleme die Menschen hier haben. Er ist die optimale Besetzung für diesen Posten und bei allen Lehrern hoch angesehen.
Es ist viel los an diesem 17. Mai 2011 in der sonst eher beschaulichen Region. Auf der Schotterpiste hoch nach „Happy Watoto Home“ herrscht Verkehr, beinahe wie auf einer Autobahn. Im Minutentakt rollen die Jeeps und Mini-Vans an. Alle sind gekommen. Verwandte, Eltern und Freunde der Kinder, aber auch Stammesangehörige und Dorfbewohner von nebenan. Mit großen Augen bestaunen sie, welches Kleinod hier entstanden ist. Dazwischen in viel zu weiten Anzügen jede Menge Offizielle, sogar die Distrikt-Chefin hat sich an-gesagt. (…) (Sie) kommt (dann au)ch mit ein bisschen Verspätung an. Sichtlich bewegt sagt sie: „Ich bin überwältigt, was hier entstanden ist. Ihr müsst einen Traum gehabt haben und der ist wahr geworden“.
Im Namen der Regierung dankt sie den Förderern der Schule, verbunden mit dem Versprechen sie stets zu unterstützen. In einer leidenschaftlichen Rede ordnet sie „Happy Watoto Home“ in größere Zusammenhänge ein. Sie betont Tansanias Kampf gegen Armut, Hunger und Krankheiten. „Bildung kann helfen, die Armut zu besiegen, weil junge Menschen lernen, wie sie ihr eigens Land entwickeln können“, ruft sie Schülern, Lehrern und Gästen zu. Dabei sei der Ausbau von Schulen, unterstützt von NGOs eine wichtige Hilfe für die Regierung. „Unser Ziel ist, dass Tansania bis 2025 ein hochentwickeltes Land ist“. Ein kleiner Beitrag dazu werde hier am „Happy Watoto Home“ schon geleistet.
Die Motivation kommt an, für Ihre Rede bekommt die Distrikt-Chefin tosenden Applaus. Nach vier Stunden ist „Happy Watoto Home & Schools“ offiziell eröffnet. (…)
Voller Stolz zeigen Schüler und Schülerinnen ihren Verwandten anschließend Lern- und Schlafräume. Die Kleinen bekommen Essen und wir ziehen uns mit Förderern und Gästen ins Udo Lindenberg Haus zurück, um über weitere Möglichkeiten der Unterstützung zu reden. Jeder von uns ist ergriffen davon, was hier auf die Beine gestellt wurde und wie glücklich die Kinder heute sind. Überall sehen wir lachende Augen und Herzen. Frank Maser vom „Good Hope“ Förderverein bringt es auf den Punkt: „Eine höhere Macht muss all diese Menschen aus Holland und Deutschland zusammengebracht haben, denn noch vor vier Jahren hätte sich das hier keiner ausdenken können“. Einig sind wir uns darüber, dass auch allen Förderern und Unterstützern ein großer Dank gebührt. Ohne sie wäre diese Vision nie möglich geworden. „Miracles do exist“, freut sich Jan Willem ter Braack und zusammen mit seinem Freund Naut van Hout plant er schon das nächste Schulprojekt in Tansania.
Den ganzen Bericht finden Sie hier
Fotos drüben bei Good Hope
Text: Arno Köster Fotos: (ak)
Sensationell, was alles so aus privatem Engagement entsteht! Respekt!