Regionalflughäfen haben eine bessere Lobby

Arno Köster ist Wahlleipziger. Der Journalist war einst Radiomacher –  u.a. für NRJ und MDR Sputnik. 1996 gründete der gebürtige Warsteiner eine PR-Agentur. Der 56-Jährige arbeitetet u.a. für Kultsänger Udo Lindenberg und leitet seit 2006 dessen Stiftung.  

Herr Köster, wie schauen Sie auf das Lockdown-Jahr zurück?  

Wir wurden von 100 auf null ausgebremst. Nach so einem Jahr fühlt man sich ausgepowert. Niemand kann langfristig planen derzeit. So macht man einfach irgendwie weiter. Aber man fragt sich manchmal wofür noch. 

Nach dem Aufschrei in der Branche ist es ruhig geworden? Zu ruhig?  

Die Frustration vieler ist schon groß. Sie müssen schauen, wie sie ihre Familien ernähren. Es verschieben sich Prioritäten. Mir ist es nicht zu leise, es ist mir zu wenig druckvoll. Selbst die Regionalflughäfen haben offenbar eine bessere Lobby als wir.  

Stirbt die Kultur? 

Wenn wir nicht aufpassen, wird sie zumindest beschädigt. Ein Land ohne Kultur ist eine Diktatur. Kultur trägt maßgeblich zur gesellschaftlichen Meinungsbildung bei. Sie gibt Anstöße, Inspirationen und schafft Gegenöffentlichkeit. Kultur ist bunt. Auch kleine Impulse sind wichtig  

Das heißt? 

Udo Lindenberg wird weiterhin in großen Arena spielen. Ich rede von kleinen Clubs, wo abgefahrene DJs auftreten, neue Bands. Wenn all das stirbt, gibt es keine bunte Szene. Newcomer brauchen Clubs und umgekehrt. Ich sehe die Gefahr, dass das so nicht erhalten bleibt. Aber: Kultur war in der Geschichte auch  immer so stark, dass sie nach schlechten Zeiten wiedergekommen ist, mit neuen Impulsen. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe ist sie wieder facettenreich aufgeblüht. 

Lässt die Politik Euch allein?  

Eindeutig ja. Vielleicht nicht verbal, aber wenn man auf die Realität schaut, kann man schon den Eindruck kriegen. Vieles sind Lippenbekenntnisse. Es gibt zum Beispiel den zehn Punkte Plan der Grünen, der sofort Probleme gelöst hätte. Das einzige Konzept, das realitätsnah an der Branche ist, versandet in Ausschüssen.

Wie steht es um die Menschen in der Veranstaltungsbranche? 

Einige fühlen sich völlig verarscht, allein wegen der bürokratischen Hürden. Man muss beweisen, dass man seit 40 Jahren seinen Job macht, um die nächsten drei Monate den Kühlschrank vollzukriegen. Ich kenne viele, die schon in anderen Berufen arbeiten. Das ist nur Broterwerb und auch nicht erfüllend. Andere basteln an neuen Ideen. Die Mehrheit hängt ganz schön durch. 

Was bedeutet das für die Zukunft?  

Wir brauchen das Know-how erfahrener Menschen im Live-Betrieb. Künstler brauchen ein vertrautes Umfeld, Produktionen Abläufe, die über Jahre entwickelt worden sind. Da greift alles ineinander. Jeder weiß, was zu tun ist. Fällt das weg, gerät einiges durcheinander.  Zur Zeit geht uns viel großartiges Know How verloren. 

Wie kann neu angegriffen werden? 

Veranstalter sind gezwungen, kreativ umzudenken. Doch Picknick-, Strandkorb- und Autokino-Konzerte, sind nicht unbedingt erfüllend für Künstler und Publikum. Sie sind eine Möglichkeit, den Apparat am Laufen zu halten. Die Politik muß endlich Vertrauen haben in das Know How der Branche. Wir waren mit die ersten, die gute Hygeniekonzepte hatten.

Lohnt sich derzeit ein Re-Start? 

Wenn Kapazitäten an den Inzidenzwert gekoppelt werden, kann die Auslastung anpasst werden. Da kann man einigermaßen wirtschaftlich rechnen. Allerdings müssen alle mitziehen, auch die Politik. Andres als im Fußball, können wir keine Geisterkonzerte spielen. Live-Musik lebt vom Publikum. 

Wie also den Sektor retten?  

Man muss das trennen. Unsere großen Stars sind „out-standing“. Das wird schon irgendwie weitergehen. Da sind ganz andere Voraussetzungen gegeben, als bei solchen, die gerade richtig am Durchstarten waren, oder sind.  

Wie greift man Newcomern unter die Arme? 

Indem man sie fördert. Live und medial. Da kommt mir zu wenig von den öffentlich-rechtlichen Sendern, die ja einen Bildungs- und Kulturauftrag haben. Wann, wenn nicht jetzt ? 

Was meinen Sie konkret?  

Aufmerksamkeit. Wo bekommen Nachwuchsbands die, wenn die Musik nicht im Radio gespielt wird? Da gehts auch um GEMA Gelder. Ich rede nicht von Info- oder Kultursendern. Die großen Popwellen, sollten mehr lokale Bands spielen. Das wäre im Sinne des Auftrags.

Was haben Sie persönlich aus dem verrückten Jahr mitgenommen?  

Ich bin mir sehr oft selbst begegnet und hatte Zeit, über Sachen nachzudenken, über die ich vorher vielleicht nicht so viel nachgedacht hatte. Ich habe viel Zeit mit der Familie verbracht. Das sind positive Aspekte. Was runterzogen hat: Dass wir offenbar nach über einem Jahr immer noch keine anständige Lobby haben und dass so viele auf der Strecke geblieben sind. 

Die Stiftungsarbeit konnte am Laufen gehalten werden?  

Es war klar, dass wir trotz der Pandemie die Stiftungsarbeit nicht einstellen. Wir haben den Menschen erst mit Masken und Nahrungsmitteln geholfen, aber jetzt beschlossen, die nachhaltigen Projekte weiter voranzutreiben. Im Herbst eröffnet unsere Ausbildungswerkstatt in Kenia.

In Pforzheim läuft das Musical-Schulprojekt „Hinterm Horizont macht Schule“. Wir konnten es zu jeder Zeit aufrechterhalten, haben viele Videocoachings gemacht. Schülern und Lehrern war es wichtig, dass wir weitermachen. Wir drehen jetzt einen Film, reagieren flexibel und sind trotzdem präsent. Außerdem haben wir den Panikpreis 2021 ausgeschrieben. Damit wollen wir ein Zeichen für Live-Kultur und junge Bands setzen. Gerade jetzt!

Wie gehen Sie persönlich die Lockerungen an?  

Ich freue mich am meisten auf persönliche Kontakte. Als Erstes werde ich Menschen treffen, face to face und nach Kenia reisen. In Sachen live kannst Du wenig planen. Konzerte, Festivals, who knows ? Es gibt so viele Unwägbarkeiten. Das Virus wird uns noch lange begleiten.

Interview von Stephanie Riedel. Erschienen in LVZ-Online Ostern 2021.

Foto ©: Tine Acke.

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